6.c. jüdische Schule - Moses Amsterdam

Lehrer, Kantor und Schächter in Gemünden
Verheiratet mit Helene Ochs, Gemünden

 

Moses Amsterdam wurde am 17. Okt. 1904 als Sohn eines Schuhmachers in der zwischen Częstochowa und Katowice gelegenen Ortschaft Żarki geboren. Er hatte einen Bruder und eine Schwester. Weil er Jude war, konnte er, solange seine Heimatstadt zu Russland gehörte, keine Schule besuchen. Dies änderte sich erst während des Ersten Weltkriegs, als die Ortschaft von der österreichischen Armee okkupiert wurde. Nach dem Ende des Kriegs blieb die Familie nicht im neu gegründeten polnischen Staat, sondern übersiedelte 1920 nach Deutschland. Zunächst an einem theologischen Seminar in Frankfurt am Main und anschließend an der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg eingeschrieben, ließ er sich in den folgenden Jahren zum Religionslehrer ausbilden.

Von 1925 bis 1927 arbeitete Amsterdam als Lehrer, Kantor und Schächter in Gemünden (Hunsrück). In dieser Zeit lernte er seine Frau Helene Amsterdam, geb. Ochs, kennen, die er 1926 heiratete. 1927 nahm er eine Stelle in Gladenbach (Hessen-Nassau) an, wo in der Folge seine drei Kinder geboren wurden: Helga (1927), Egon (1929) und Edith (1930). 1932 wechselte er erneut die Stellung und ließ sich in Battenfeld (Eder) nieder, einer etwa 30 km nördlich von Marburg gelegenen Ortschaft. Dort wohnte die Familie nahe der Synagoge in der Marktstraße 27 mietfrei in einem Haus, in dem sich auch der Klassenraum der jüdischen Schule befand. In dieser Gemeinde, die über keinen eigenen Rabbiner verfügte, arbeitete Amsterdam als Kantor und Prediger und war als Lehrer nicht nur in der jüdischen Schule der Ortschaft, sondern auch in verschiedenen Nachbargemeinden tätig. Neben dem Gemeindedienst engagierte er sich im lokalen Männergesangsverein (Gemeinde Allendorf (Eder) 1978, S. 113-116).

Nach dem Machtantritt der Nazis wurde die Lage immer schwieriger. Nachdem Amsterdam zuvor schon bedroht worden war, wurde er im Jahr 1938 von SA-Leuten schwer misshandelt, als er gerade auf dem Weg mit dem Fahrrad zum Unterricht in Oberasphe war. Trotzdem gab Amsterdam später an, dass er es gerade in dieser Situation für seine Pflicht hielt, in seiner Stellung zu bleiben (HHStAW AmsterdamM, Abt. 518 Nr. 20.031, Bd. 2, Bl. 255-260). Während der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge von Battenfeld niedergebrannt. Das Wohnhaus der Familie Amsterdam überstand zwar die antisemitischen Aktionen, doch wurde ihre Habe geplündert. Die Familie rettete sich knapp vor den Angriffen und kam kurzfristig im nahe gelegenen Holzstall eines Landwirts unter. Nur zwei Wochen später musste sie das Diensthaus endgültig verlassen. Ihre Möbel wurden daraufhin vom Bürgermeister der Ortschaft zwangsverkauft. Für einige Zeit wohnten sie im „Judenhaus“ in der Edertalstraße 44. Dieses wurde fortan auch für die Gottesdienste der Gemeinde genutzt (Gemeinde Allendorf (Eder) 1978, S. 113).

Amsterdams Vater und seine Schwester – die Mutter war bereits 1924 verstorben – wurden 1938 im Rahmen der „Polenaktion“ nach Polen abgeschoben, wo sie später ermordet wurden, während sein Bruder Szaja sich zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Palästina retten konnte. Amsterdam und seine Familie blieben noch bis zum Sommer 1939 in Battenfeld. Für den Preis von 2.715 RM konnten sie schließlich eine Schiffspassage der italienischen Reederei Lloyd Triestino nach Shanghai erlangen. Nachdem sie sich am 21. Juli 1939 in Battenfeld abgemeldet hatten, reisten sie mit der Bahn nach Triest und schifften sich dort am 2. Aug. 1939 auf der Giulio Cesare ein. Sie erreichten Shanghai am 28. Aug. 1939, also in jener Zeit, als die freie Einreise in die chinesische Hafenstadt, die eine Zeitlang gegolten hatte, gerade durch ein restriktives Permit-System aufgehoben wurde (CAHJP AmsterdamM, DAL/197).

Das Leben in Shanghai gestaltete sich für die Familie schwierig. Während das Ehepaar Amsterdam mit fünf weiteren Ehepaaren in einem Zimmer des Chaoufoong Road-Heims lebte, waren die drei Kinder von ihnen getrennt untergebracht. Auch erkrankten diese mehrfach. Amsterdam selbst litt zeitweise an Dysenterie und Krätze, auch musste er wegen einer Flecktyphuserkrankung einige Zeit im Krankenhaus verbringen. Dennoch nahm er in Shanghai auch wieder eine Berufstätigkeit auf. 1941-1947 unterrichtete er Hebräisch an der 1939 von den Flüchtlingen gegründeten Talmud Thora-Schule. Darüber hinaus wurde er als Kantor aktiv. Er schloss sich der Gemeinschaft Jüdischer Kantoren an, die 1940 auf Anregung Rudolf Glahs’ gegründet wurde und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen einer ganzen Reihe exilierter Kantoren vertrat. Sie unterstützte diese im Krankheits- oder Bedürftigkeitsfall und diente als Kontaktstelle. Amsterdam gehörte zu den sogenannten Heimkantoren, die in den Massenunterkünften, die im Stadtteil Hongkew für die Flüchtlinge aus Europa eingerichtet worden waren, sowie in weiteren Betstätten Dienst taten. Seinen Lohn erhielt er von der Jüdischen Gemeinde. Außerdem beteiligte er sich an Veranstaltungen, so etwa anlässlich des zweijährigen Jubiläums der Einweihung der Synagoge Emes w’scholaum in der MacGregor Road, bei der er zusammen mit Kantor Hermann Schüler als Gesangssolist mitwirkte (m-rd 1943). Vermutlich war er Mitglied im Chor der Kantoren, der 1941 gegründet wurde und bei Konzerten und Gemeindeveranstaltungen mitwirkte.

Nach der Proklamation der „designated area“ durch die japanischen Besatzer 1943 wohnte Amsterdam mit seiner Familie weiterhin im Chaoufoong Road-Heim. Es lag in dem abgegrenzten, auch als Ghetto Hongkew bekannt gewordenen Bezirk, in dem ab Mai 1943 alle nach 1937 eingewanderten staatenlosen Flüchtlinge wohnen mussten und der bis zum Ende des Pazifikkriegs nur mit amtlicher Genehmigung verlassen werden durfte. Amsterdam wurde in Shanghai als deutscher Flüchtling geführt (CAHJP AmsterdamM). Die deutsche Staatsangehörigkeit dürfte ihm jedoch spätestens Ende 1941 aberkannt worden sein. Zu diesem Zeitpunkt wurde im Deutschen Reich die „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ erlassen, die die pauschale Ausbürgerung von Flüchtlingen aus Deutschland zur Folge hatte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete die Gemeinschaft Jüdischer Kantoren weiter und kümmerte sich nun auch um Möglichkeiten der Weiterwanderung für ihre Mitglieder. Moses Amsterdam gehörte zu denjenigen, die eine Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Zuhause wünschten. Als Ziel gab er zunächst Europa und Dänemark an. Letztlich konnte er aber die Immigration in die USA realisieren. Das „Shanghai Echo“ meldete am 9. Aug. 1947, dass Amsterdam die Stadt mit dem ersten Transport des Monats verlassen würde (KieslerH 1947a). Finanziert vom American Jewish Joint Distribution Committee erreichten Amsterdam, seine Frau und die beiden Kinder Egon und Edith am 25. Aug. 1947 mit der General Meigs San Francisco. Die älteste Tochter Helga war nicht mit dabei. Sie übersiedelte nach Australien.

Die Familie ließ sich in der Folge in Baltimore (MD) nieder. 1947 nahm Amsterdam kurzzeitig eine Arbeit als Hebräischlehrer der Talmudical Academy of Baltimore auf, die er wegen seines schlechten Gesundheitszustands und wegen mangelhafter Englischkenntnisse aber bald wieder aufgeben musste. Anschließend hatte er bis 1950 eine Stellung als Synagogendiener der Shearith Israel Congregation in Baltimore inne. Dem folgte eine zehnjährige Anstellung in gleicher Funktion bei einer anderen Gemeinde, die er 1960 wegen Auseinandersetzungen mit dem dortigen Rabbiner aufgab, um in eine weitere Gemeinde zu wechseln. Als Lehrer und Kantor konnte er in den USA nicht mehr arbeiten.

In der Nachkriegszeit stellte Amsterdam sowohl Anträge bei der Bundesstelle für Entschädigung der Bediensteten jüdischer Gemeinden in Köln-Deutz als auch nach dem „Bundesentschädigungsgesetz“ bei der Entschädigungsbehörde in Kassel. In Kassel ließ er sich dabei vom United Restitution Office bzw. Anwälten vertreten. In beiden Fällen erhielt er Renten bzw. Kapitalentschädigungen (HHStAW AmsterdamM).

Moses Amsterdam verstarb gerade einundsechzigjährig am 30. Okt. 1965. Er wurde auf dem Chevra Ahavas Chesed Cemetery in Randallstown (Baltimore) bestattet. Im „Aufbau“ erschien daraufhin eine Todesanzeige, die von mehreren seiner ehemaligen Shanghaier Kantorenkollegen gezeichnet war. Mit den Kantoren Rudolf GlahsMax EhrenbergLeopold FleischerGustav Flörsheimer und Josef Schallamach, die ebenfalls in die USA gelangt waren, hatte Amsterdam vermutlich bis zuletzt in Kontakt gestanden (HarpuderR 2004).

Entnommen aus: 

Sophie Fetthauer: Moses Amsterdam, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen, Sophie Fetthauer (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2017 

(https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00003256).