7.c. Der jüdische Friedhof Gemünden

 

Mit Efeu überwachsener Gedenkstein aus dem Jahr2003 vor dem jüdischen Friedhof. Karen Ochs-Amsterdam auf der Suche nach Gräbern der Familien. Versuch mit speziellen Apps Grabsteine zu entschlüsseln

(Aufnahmen 23.5.2024)

Die Geschichte der beiden jüdischen Friedhofe in Gemünden ist ein Beispiel dafür, mit welchen Schwierigkeiten jüdische Gemeinden in ihrer kommunalen und religiösen Minderheitensituation in Bezug auf ihre „Stätten der ewigen Ruhe“ zu kämpfen hatten. Die ersten jüdischen Familien waren vermutlich die in den Ort gekommenen Schutzjuden der schmidtburgischen Herrschaft, erste schriftliche Nachrichten stammen aus dem Jahre 1704. Aus dem 18. Jahrhundert stammen auch Aufstellungen über Schutzgeldzahlungen an die Herrschaft. Danach lebten um 1743  15 Familien im Ort. Ihnen war der zum Simmerbach steil abfallende Nordhang des Schlossberges als Begräbnisplatz angewiesen. Mit Übernahme des Gebiets durch Preußen (1817) wurden Beerdigungen dort polizeilich untersagt. Man forderte die jüdische Gemeinde auf, einen neuen Begräbnisplatz auf ihre Kosten zu erwerben. Das geschah, jedoch weigerten sich einige Familien, die Kosten dafür zu zahlen. Auf Grund einer Anfrage des Landrates von Simmern bei der königlichen Regierung in Koblenz, ob man diese Kosten „exekutorisch“ (zwangsweise) eintreiben könne, erfolgte am 27. November 1819 die Antwort, in der es u.a. hieß: 

„Eine zwangsweise Einziehung der Kosten kann nicht genehmigt werden, da die Sache gleich anfangs unrichtig und als Privatsache behandelt worden ist. Diese Angelegenheit muß demnach aus Neue begonnen werden. Sie werden der Judenschaft in Gemünden erklären, dass ihr bisheriger Kirchhof aus polizeilichen Gründen geschlossen werden müße und sie daher innerhalb von vier Wochen für einen neuen polizeilich erlaubt gelegenen zu sorgen oder die Folgen der Unterlassung sich selbst zuzuschreiben hätten. Sie werden der Judenschaft zu ihrer Erklärung acht Tage Zeit geben und die Namen derjenigen zu wißen verlangen, welche Beiträge verweigern. Auf diese Art wird die Schwierigkeit sich wahrscheinlich von selbst beheben. Die Königliche Regierung.“

Über das Schicksal dieses ältesten Friedhofes berichtet der Lehrer und Vorbeter der jüdischen Gemeinde Salomon in einer von ihm 1860 verfassten Chronik:

„Nach der mündlichen Tradition sowohl auch auf Grund der durch den Zahn der Zeit halb zerstörten Inschriften auf den Grabsteinen, die sich noch als Reste auf dem Schloßberg befindlichen früheren Gottesacker der Israeliten, von welchem der Bach einen großen Teil weggespült hat, befinden, lässt sich das Alter der Gemeinde auf mindestens 300 Jahre annehmen“.

Bei einer Untersuchung im Schlossberg im Jahre 1985 fand sich nur noch ein einziger gut erhaltener Grabstein mit einer Inschrift, zu der Prof. Dr. Dr. Böcher von der Universität Mainz nach Auswertung eines Fotos folgendes schrieb: 

„Für eine wörtliche Transkription und Übersetzung ist leider der rechte Rand nicht ganz lesbar. Gleichwohl kann ich genau sagen, wer hier beigesetzt worden ist. Es handelt sich um den – schon durch die beiden Hände als Priesterabkömmling (Kohen) gekennzeichneten – Joseph Herz, gestorben im Tammus des jüdischen Jahres 574, d.h. im Juni des christlichen Jahres 1814. Die Inschrift rühmt seine Tugenden und schließt mit dem abgekürzten Segensspruch „Seine Seele sei eingebunden ins Bündel des Lebens“(Aufnahme 2016).

 

 

 

 

 

 

Erste Belegungen auf dem „neuen Friedhof“. Durch das herunterfließende Wasser sind viele Grabsteine nun im Erdreich versunken und nicht mehr identifizierbar (Aufnahme 10.1.2025) 

Wie sich die Angelegenheit weiter entwickelte, ist aus den Akten nicht zu ersehen. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfährt man durch massive Beschwerden der jüdischen Gemeinde, dass man weit außerhalb des damaligen Ortes am Rothsberg im Lametbachtal einen neuen Friedhof angelegt hatte, zu dem allerdings die Zuwegung derart schlecht war, dass die Teilnehmer bei Beerdigungen regelrecht gefährdet waren. Die kommunale Gemeinde Gemünden weigerte sich beharrlich, für den Ausbau des Weges aufzukommen. Wiederholte Beschwerden beim Landrat waren erfolglos. In einem Schreiben des jüdischen Vorstehers Marx Löb an den königlichen Landrat von Ernsthausen in Simmern am 19. August 1854 wird an zwei Eingaben erinnert, dass der Weg zum Gottesacker durch das „eingetretene Regenwetter täglich inpracticabler“ werde und dies bei „vorkommenden Begräbnissen sehr schlimme Folgen haben könne“. Im Randbericht antwortet der Landrat, dass „die Zivilgemeinde nicht herangezogenen werden kann, da auch die christlichen Friedhöfe nicht von der Civilgemeinde, sondern von den Confessionsgenossen unterhalten werden“.

In einer erneuten Eingabe wird geschildert, wie durch das Quellwasser aus dem Schieferstollen und durch abschüssige Stellen die Gefahr des Ausgleitens bestehe, und es „lebensgefährlich für Frauen sei, der Lade [Sarg] zu folgen“. Man verweist auf die Verpflichtungen der jüdischen Gemeinde gegenüber der kommunalen und fordert gleiche Rechte. Mit ergebenster Bitte, den Gemeindevorsteher „zur schleunigsten Ausübung des Wegebaues geneigtest zu veranlassen“ wird darauf hingewiesen, dass „der Weg zum Friedhof inzwischen auch von Civilbehörden“ gebraucht werde.“

 

 

Die Lücken in der Belegung spiegeln die behördlichen Probleme um den jüdischen Friedhof wider (Aufnahme 10.1.2025). Inschrift nicht mehr lesbar. 

Da auch dieses Ersuch nichts bewirkte, wandten sich Marx Löb, David Ochs und Lorenz Wirth am 3. Dezember 1854 erneut an den Landrat und baten darum, die Zivilgemeinde polizeilich zur Unterhaltung des Weges anzuhalten. Die Antwort auf dem Randbericht lautete: 

„Die Unterhaltung des Weges zum israelitischen Kirchhof ist Sache der israelitischen und nicht der Civilgemeinde. Der jüdische Gemeindevorstand kann hiezu die Mitglieder dieser Gemeinde anhalten oder auf Kosten derselben den Weg instandsetzen lassen, wenn wie beschrieben wird, diese Passage gefährlich ist, verpflichten, widrigenfalls der Herr Bürgermeister auf Kosten der Säumigen die Gefahr drohenden Stellen beseitigen polizeilich verpflichtet ist.“

Wiederum schweigen die schriftlichen Quellen zum jüdischen Friedhof bis zum Jahre 1904, als man nach einer Besichtigung im August einen Friedhofsplan zeichnete. Auf ihm sind Plätze für 239 Erwachsene und 85 Kinder angegeben und am Westrand eine Reihe alter Gräber eingezeichnet. Im darauffolgenden Jahr stellte der Gemeindevorsteher bei einer Überprüfung, bei der der jüdische Gemeindevorsteher nicht erschienen war, folgendes fest:

„Die Größe der jüdischen Gemeinde beträgt 109 Mitglieder, eine Vergrößerung des Friedhofes ist nicht erforderlich. Er ist mit einer lebenden Hecke umgeben und das Tor ist verschließbar. Die Gräber sind vorschriftsmäßig angelegt. Ein Gräberverteilungsplan ist nicht vorhanden. Die Ginstersträucher auf den alten Gräbern sollten entfernt werden“.

Der heute – nach einer Initiative von Schülern der IGS Kastellaun - unter Denkmalschutz stehende Friedhof weist noch 76 Steine (ohne die alten Gräber) in 7 Reihen aus. Die letzte Beisetzung fand im Mai 1970 statt.

Im Jahre 2002 haben Untersuchungen der hebräischen Inschriften der alten, stark verwitterten Grabsteine am Westrand des Friedhofes gezeigt, dass nach der Schließung des am Schlossberg gelegenen alten Friedhofes an dieser Stelle begonnen wurde, die Toten zu beerdigen. Aus religiösen Gründen ist es sehr unwahrscheinlich, dass man alte Grabsteine vom Schlossberg an einen neuen Ort verbrachte und so die Totenruhe gestört hat. Die Lücke zu den weiteren Grabsteinen des neuen Friedhofes erklärt sich daraus, dass man wegen des vom Berg fließenden Wassers zu einem trockeneren Teil des Friedhofes überging und dort die weiteren Begräbnisse vornahm.

Insgesamt spiegelt der jüdische Friedhof Gemünden in den vorhandenen schriftlichen Quellen die konfliktreiche Entwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts wider. Er zeigt auch wie kein anderer Friedhof des Rhein-Hunsrück-Kreises die Wandlung jüdischer Begräbnisriten, wie sie sich aus der Anlage der Gräber und der Formulierung der Inschriften ergibt. Er umfasst Grabsteine mit ausschließlich hebräischen Inschriften und traditionellen Bezügen zur religiösen Literatur, aber auch solche mit hebräischen und deutschen oder auch nur mit deutschen Texten. Es finden sich Grabstätten mit allen zur jeweiligen Epoche benutzten Materialien (Sandstein, Marmor, Kunststein, Granit, Basalt, Betonteile). Der Friedhof bietet uns aber auch einen außergewöhnlichen Beweis für den Patriotismus jüdischer Bewohner zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Eine Grabstele aus schwarzem Marmor mit einem Stahlhelm, segnenden Händen, Messer, Koppel und einem Gewehr ist sicherlich einzigartig in Deutschland.

 

Nr. 25: Abraham Morgenthau

Hier ruht Herr Abraham Morgenthau, 

Lehrer, Cantor und Schächter, geb in...? (Bayern).

Innig und tief betrauert von ...

Schmerzlich beweint von allen ...

Nr. 26: Jacob Wagner

Wohltätig in seinen Werken,

als Vorbeter in der Gemeinde,

und gottesfürchtig im Leben.

Schmerzlich beweint von seinen Lieben,

selig seines Angedenkens!

Friede seiner Asche!

Nr. 44: Moritz Strauss

Hier ruht unser lieber Sohn Moritz Strauss 

geb. 19. Dez. 1894.

Er starb den Heldentod für's

Vaterland im Kr. Laz. Zweibrücken

am 2. Sept. 1916

Hier getrennt nur kurze Zeit, vereint uns doch die Ewigkeit“

Ein sehr nachdenklich stimmendes Grabmal (Nr. 63). Henriette Weiler (1850-1930) starb lange vor ihrem Ehemann. Das Grab war als Doppelgrab vorgesehen, die rechte Seite blieb leer. 

Ehemann Zacharias Weiler (1848-1942) wurde am 22. Juni 1942 in ein „Judenhaus“ in der Provinzialstraße in Laufersweiler mit 17 Personen gepfercht, von dort am 27. Juni ins Ghetto Theresienstadt eingeliefert, wo er am 10. August sein Leben verlor. Fünf ihrer sieben Kinder wurden ermordet, Tochter Elisa war in die USA geflohen, Sohn Friedrich überlebte wohl in Kaiserslautern den Holocaust (???) 

 

 

Quellen


Schmidtburgisches Archiv, Schloss Gemünden 6311/36. Weitgehend zitiert bei V. Boch, Juden in Gemünden (Konstanz 2003) S. 15-17. 

Werner Zwiebelberg, Das alte Gemünden (Boppard 1970)

Peter Meyer, Aus der Geschichte der Juden des Hunsrücks (Kirchberg 1935)